“Boah, das würde ich so gerne mal live auf einer Bühne sehen!”
Leoni Grützmacher, beim PAF verantwortlich für Partys, Workshops, Diskurs und das Festivalzentrum, und Toni Zahn, zuständig für die Koordination des PAF-Nachwuchsformats „Introducing…“, sprechen im Interview über das Programm, Synergie-Effekte beim Zusammenwirken mit alternativen Spielstätten und die Freude, 2022 endlich wieder ein Live-Festival organisieren zu können.
Von Timo Koch
Leoni, dieses Jahr bist du zum dritten Mal in Folge beim PAF. In den letzten zwei Jahren fand das Festival digital statt. Worauf freust du dich dieses Jahr besonders?
Leoni Grützmacher: Darauf, dass es nicht digital ist auf jeden Fall! Wir haben uns im Vorfeld am meisten darüber gefreut, dass wir wieder mit Menschen zusammentreffen können, wir wieder Publikum zu Gesicht bekommen und selbst auch in einen Austausch und in Gespräche gehen können. Natürlich auch darauf, wieder zusammen zu feiern, zum Beispiel die Eröffnung. Letztes Jahr haben wir uns nach der Eröffnung im Team ganz vorsichtig draußen mit Abstand getroffen. Aber es ist einfach was anderes, Applaus zu hören, die vielen Menschen zu sehen und zu erleben. Ich arbeite ja hauptsächlich im Festivalzentrum und zu sehen wie sich die Menschen hier wieder begegnen, ist wirklich schön! Gerade Gesprächssituationen sind im digitalen Raum schwieriger umzusetzen.
Welche besonderen Herausforderungen gab es in diesem Jahr?
Leoni Grützmacher: Bis März oder April dieses Jahres gab es im Team viele, die dachten: “Am Ende findet das PAF ja doch nicht statt”. Auch ich dachte öfter: “Was machen wir eigentlich, wenn wenige Wochen vorher wieder krasse Einschränkungen kommen?” Dann hätten wir erneut innerhalb von vier Wochen das ganze Festival umplanen müssen wie im ersten Pandemie-Jahr. Da wir fast alle aus dem Live-Veranstaltungsbereich kommen, ist das Arbeiten dieses Jahr insgesamt stressfreier. Natürlich: Festivals sind immer stressig. Trotzdem war es etwas anderes, das PAF digital umzusetzen, wo wir uns mit technischen Fragen auseinandersetzen mussten, für die wir nicht qualifiziert waren. Für uns ist es leichter, ein Mikrophon auf einer Bühne aufzubauen, als ein Gespräch bei stabilem Internet über fünf Breakout-Rooms herzustellen.
Wenn man sich das diesjährige Programm anschaut, fällt sofort auf, dass sich die Anzahl der Produktionen im Vergleich zum Vorjahr um rund die Hälfte reduziert hat. Woran liegt das?
Leoni Grützmacher: Das haben wir absichtlich so gemacht. Das PAF ist ja nicht kuratiert. Alle Häuser, Spielstätten, Produktions- und Veranstaltungsorte konnten bislang Produktionen einreichen, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllt haben, die recht niedrigschwellig waren, damit man die gesamte Bandbreite erleben konnte von dem, was im vergangenen Jahr in Berlin produziert wurde. Aber wir haben in der Vergangenheit oft das Feedback bekommen, dass das zu einem undurchsichtigen Wald aus Produktionen und Veranstaltungen geführt hat. Viele Häuser und Künstler:innen hatten verständlicherweise die Sorge, dass darunter die Sichtbarkeit der einzelnen Produktionen leidet. Darum haben wir im Team entschieden, die Anzahl einzudämmen und dabei weiterhin nicht zu kuratieren. Zum Beispiel darf jedes Haus nur eine Produktion einreichen. Es dürfen nur Wiederaufnahmen gezeigt werden und keine Premieren, weil wir das Gefühl haben, durch die beiden Pandemie-Jahre gibt es noch wahnsinnig viel, was bisher nur vor wenigen Menschen oder nur digital oder gar nicht gezeigt werden konnte.
Toni, gemeinsam mit den künstlerischen Leiter:innen der teilnehmenden Spielstätten warst du dieses Jahr für die Auswahl der “Introducing…”-Beiträge verantwortlich. Wie viele Bewerbungen gab es?
Toni Zahn: Rund 70. Die Häuser haben sich natürlich für Künstler:innen entschieden, die zu ihrem jeweiligen Programm gut passen. Ich war eher für die Moderation der Jurysitzungen verantwortlich und als Vertreter:in der Interessen des PAF-Teams da. Die finale Auswahl lag bei den Häusern selbst.
Welche Kriterien standen bei der Auswahl der diesjährigen “Introducing…”-Beiträge im Vordergrund?
Toni Zahn: Im Open Call waren ja bereits einige Kriterien formuliert. Zum Beispiel, dass die Gruppen oder Künstler:innen aus Berlin sein müssen, was mit der Förderung zu tun hat, dass sie bereits Bezüge zur Freien Szene in Berlin haben und dass sie sich als Newcomer:innen definieren. Mein Wunsch war es, dass die Häuser Künstler:innen einladen, die sie bislang noch nicht kennen. Natürlich war auch wichtig, dass die Produktionen sich an den jeweiligen Orten technisch gut umsetzen lassen. Und die vier ausgewählten Produktionen sollten auch gut miteinander harmonieren.
Interessant ist, dass „Introducing…“ vom übrigen PAF-Programm abweicht, denn hier gibt es eine Kuration.
Leoni Grützmacher: Ja das stimmt. Die Häuser, also Ballhaus Ost, HAU Hebbel am Ufer, Sophiensæle und TD Berlin, kuratieren “Introducing…”.
Gab es eine Bewerbung, bei der du es besonders schade findest, dass sie es nicht in die Auswahl geschafft hat?
Toni Zahn: Natürlich! Abgesehen von den Interessen der Häuser und den Interessen des PAF, die ich im Blick behalten muss, gibt es natürlich auch persönliche Präferenzen, die eine große Rolle spielen. In den meisten Fällen haben die Bewerber:innen Aufzeichnungen der Produktionen mitgeschickt, wo ich oft dachte: Boah, das würde ich so gerne mal live auf einer Bühne sehen, weil das mit Sicherheit ganz anders wirkt. Das macht natürlich neugierig und ich finde es bei vielen schade, dass sie nicht mit dabei sind. Aber es geht eben darum, einen Kompromiss zu finden.
Seit einigen Jahren erweitert sich der Spielstättenbegriff des PAF. Seit dem Debüt 2016 sind zum Beispiel Clubs und andere alternative Spielorte dabei. Welche Idee steckt hinter der Erschließung dieser “off-locations”?
Leoni Grützmacher: Die Idee ist, andere Kultursparten einzuladen und sich zu vernetzen. Zum Beispiel beim Thema Raum. Die Raumnot, also dass Orte geschlossen werden und es wahnsinnig schwierig ist, neue Räume im Stadtgebiet zu finden, die bezahlbar sind, betrifft uns als Freie Szene, aber auch andere Kulturveranstalter und Clubs. Außerdem überschneidet sich unser Publikum in Teilen. Warum das nicht zusammenbringen? Gerade Clubs besitzen eine lange Geschichte theatraler Ereignisse wie Drag-Shows. Clubpublikum geht vielleicht gerne ins Theater, hat aber mitunter noch nicht so viele Berührungspunkte mit der Freien Szene. In dem Moment, in dem wir eine Eröffnungsfeier im “://about blank” machen, werden Menschen auf unser Festival aufmerksam – und unsere Gäste auf den Club.
Toni Zahn: Es ging auch darum, unseren Horizont zu erweitern. Damit die Freie Szene sich nicht nur selbst anschaut, sondern mehr Austausch stattfindet. Es gibt auch verschiedene Programmpunkte, hinter denen die Idee steckt, Nachbarschaften untereinander besser zu vernetzen. Dass man eben nicht nur auf das Programm der Szene aufmerksam macht, sondern auch auf andere Initiativen oder Orte, die in der Pandemie viel zu kurz gekommen sind.
Leoni Grützmacher: Das ist der Gedanke hinter dem Tag der offenen Bühnen am Samstag – dass Spielstätten ihre Türen öffnen und Nachbar:innen auf einmal feststellen: “Hey, bei mir zwei Häuser weiter ist ein Theater im Hinterhof, das wusste ich ja gar nicht.” Diese Touren werden von Initiativen aus dem Kiez angeboten, die die Umgebung kennen und das Gesehene in einen Stadtkontext setzen können. So können die Leute im Kiez erfahren, wer dort unterwegs ist und dass es sich vielleicht lohnt, einander kennenzulernen. Natürlich geht es auch die Erweiterung des Kunstbegriffes. Was kann Theater oder Performance sein? Das kann ja auch in einem Park stattfinden, in einer Galerie, in einem Club. Die Frage nach dem ZUSAMMEN, die wir dieses Jahr aufwerfen, setzt ja genau hier an: Zusammen an einem Strang zu ziehen.
Da du gerade davon sprichst: Für das PAF 2022 hat euer Team Fragen ausgewählt statt eines Mottos. “Wie wollen wir ZUSAMMEN leben – mit anderen und unserer Umwelt? Wie wollen wir ZUSAMMEN arbeiten? Und wie können wir ZUSAMMEN alt werden?”. Zeichnet sich schon ab, welche Antworten das diesjährige PAF gibt?
Toni Zahn: Nein, ich glaube das wäre von uns auch sehr arrogant, zu behaupten, dass wir beide darauf schon Antworten gefunden haben. Die Fragen sind ja auch ergebnisoffen. Es geht darum, ins Gespräch zu kommen, gemeinsam weiterzudenken, vielleicht auch nach dem Festival.
Leoni Grützmacher: Die Themen haben wir uns auch nicht im Team ausgedacht, sondern sie spiegeln sich in der Vielzahl der eingereichten Produktionen wider. Es sind Themen, mit denen sich die Leute innerhalb der Szene viel beschäftigen, die aber auch in einem gesellschaftlichen Kontext verhandelt werden. Deshalb wollten wir hier den Fokus setzen, damit wir alle darüber sprechen.