Unter der Gürtellinie


HYENAZ zeigen mit „AUTOMINE“ im ACUD einen Abend über analoge und digitale Körper.

Von Veronika Malaschonok

“IS NOT” stöhnt die eine Person, die Beine gespreizt und erschöpft zurückgelehnt. “IS”, stöhnt die andere nach vorne gebeugt und hält das Mikrofon wie ein Sänger beim Höhepunkt eines emotionalen Songs.

Ebenen von Sex, Kommunikation und vor allem Körperlichkeit kollidieren in der englischsprachigen Performance „AUTOMINE“ von HYENAZ. Das Duo aus Kathryn Fischer und Adrienne Teicher untersucht die Beziehungen zwischen Körpern unter verschiedenen Bedingungen, zum Beispiel von analog und digital. Dabei verbinden sie originelle Bilder, flackernde Lichter und flirrende Kostüme mit Tanz, Gesang und Poesie. Sie denken über Körper, Identität, Community und Freiheit nach. Wie weit lässt sich ein Körper verfremden?

Beim Aufstieg in das ACUD Theater spürt man die Location: Die Wände sind bemalt, jede Treppenstufe, voll von Spuren der Vergangenheit, besitzt Charakter. Die Platzauswahl ist frei, aber nicht unbedeutend. Wieso, erklärt sich später.

Ein beständiges Dröhnen im Hintergrund dämpft die Gespräche im Publikum. Schwarzlicht und Nebel füllen den Raum, neongelb-leuchtende Matten aus Tape und Plastik beherbergen zwei Figuren. Sie hocken im Schneidersitz, scheinen zu meditieren. Sie tragen neonleuchtenden Kopfschmuck. Wie zwei Fabelwesen im digitalen Raum leuchten sie gelb auf blauem Grund. Vor ihnen erstrecken sich rechtwinklige Bahnen aus Tape, zwischen ihnen lange, bis in den Publikumsraum reichende Fäden. Zwei Mikrofone stehen bereit.

Sind wir es auch? Zu Beginn wird eine Warnung auf der Plane an der hinteren Wand projiziert. Sie erwähnt explizite Inhalte: intensive audiovisuelle Elemente, Intimität, Militarisierung und strukturelle Gewalt. Dann erscheint ein computeranimierter Mann im Anzug, spricht mit digital erzeugter Stimme und leitet eine Meditation an. Wir entspannen unsere Schultern, spüren unseren Herzschlägen nach. Sein Credo: Man meditiert nicht, um der Welt zu entkommen, sondern um sie intensiver wahrzunehmen. Also nehmen wir unseren Körper wahr. Der Mann führt uns mit seinen Worten weiter vom Kopf hinab zur Gürtellinie – und weiter: “Feel your Cock-Cunt.”

Das ist nur der Beginn von einem Wirbel aus “Tabuwörtern”, die er dem Publikum entgegenschleudert. Einmal vergleicht er Kot, Penisse, Vaginas und Urin mit Gesellschaft und Natürlichkeit. Und das ist bloß der milde, sprachliche Teil. Deutlicher wird es, wenn die Performer:innen aufstehen. Die Kostüme (von Yeorg Kronnagel und Armando Berneth) sind in der Mitte offen, die Genitalien der Performer:innen sind durchgängig präsent.

Der Begriff „#stayconnected“ leuchtet auf, also greifen die Performer nach einem Faden mit zwei Gegenständen an den Enden. Sie laufen auf die vordere Reihe zu – deshalb ist es so wichtig, wo man sitzt – und stecken je einem Zuschauer einen Lolli in den Mund. Langsam treten sie zurück. Ziehen Handschuhe an und drehen sich mit dem Rücken zum Publikum. Sie beugen sich vor und präsentieren uns ihre Hintern, in die sie jene Gegenstände schieben, die am anderen Ende der Schnur befestigt sind. Zwei Zuschauer sind mit den Darstellern verbunden, über Mund und Anus.

Ist diese Nähe gewollt? Kathryn Fischer spricht von „Consent“: Kann man wirklich zu etwas zustimmen, wenn man nicht alle Aspekte des Themas kennt? Was passiert mit unseren Daten? Haben wir dem, was wir als Zuschauer:innen an jenem Abend erleben, zugestimmt? Können wir uns die Details heraussuchen, die wir wollen und den Rest ablehnen? Können wir Aspekte eines anderen Menschen ablehnen?

Adrienne Teicher spricht von Identität. Was gehört zu dir? Was macht dich aus? Der Löffel, den du gekauft hast, die Kleidung die du trägst, deine Lieblingsfarbe, dein gelöschter Browserverlauf – das sei es, was die Identität entstehen lässt.

HYENAZ sprechen von Erwartungen, die erfüllt werden sollen, von Transformationen des Körpers im Sinne der Akzeptanz. Sie zeigen explizite Bilder: Jemand schneidet sich die Zunge ab, eine Frau pinkelt in eine Wanne, rote Lippen und blauer Anus wechseln sich ab. Goldene Farben und weite, vernebelte Berge vermischen sich mit vibrierenden Körpern und Nacktheit. HYENAZ zeigen Stärke durch Verletzlichkeit. Kraft durch Offenheit. Schönheit durch Ehrlichkeit. Der Körper muss nicht schön sein, er muss bloß sein.

„AUTOMINE“ ist eine Erfahrung, die noch lange im Gedächtnis bleibt. HYENAZ lassen uns in die Psyche des Menschen blicken, stellen eine Verbindung her zwischen digitaler Welt und fleischlichem Körper. Dabei scheint die Frage auf, was die Essenz des Menschen ist. Was die Performance mit der angekündigten strukturellen Gewalt zu tun hat, erschließt sich nicht so ganz. Aber nach diesem überfordernden Abend ist man auf jeden Fall froh, wieder an der frischen Luft zu sein.