„Das Gefühl steht am Anfang“


„A HUMAN RACE – The Rite of KRUMP“ heißt der Tanzabend, den die TANZKOMPLIZEN beim Performing Arts Festival Berlin zeigen. Die TANZKOMPLIZEN sind die erste Spiel- und Produktionsstätte in Berlin, die ausschließlich und kontinuierlich Tanz für junges Publikum auf die Bühne bringt. Tanzvermittlerin Amelie Mallmann spricht im Telefoninterview über den Tanzstil KRUMP, Ausgrenzung und Emotionen.

von Paul Wiedemann

Ihr Nutzt für eure Inszenierung „A HUMAN RACE“ den Tanzstil KRUMP. Was zeichnet ihn aus?

KRUMP ist ein Tanzstil, der noch nicht sehr bekannt ist. Er ist ungefähr 2002 in Los Angeles entstanden, dort vor allem in der Black Community. KRUMP entstand als eine Art Ventil für Jugendliche, um Frust über Ausgrenzung, über Rassismus rauszulassen. Der Tanz hat also auch eine große soziale Bedeutung.

Was unterscheidet KRUMP von anderen Tanzstilen?

KRUMP wird hauptsächlich auf der Straße getanzt und erobert erst jetzt langsam die Bühnen. Der Stil setzt sich von anderen Tanzrichtungen ab, beispielsweise vom HipHop. Bei KRUMP geht es nicht so sehr um virtuose Tricks, sondern um eine innere Katharsis. Das Wichtigste ist, dass man etwas fühlt. Der Tanz wirkt auf den ersten Blick aggressiv, ist er aber nicht, weil es geht darum, alle Gefühle rauszulassen.

Wodurch zeichnen sich die TANZKOMPLIZEN als Produktions- und Spielstätte aus?

Wir bieten kontinuierlich Tanz für ein junges Publikum an. Da sind wir im Moment die einzige Spielstätte in Berlin, die das leistet. Jugendliche und Kinder sind bei uns das Publikum, auf der Bühne stehen professionelle Erwachsene. Für junges Publikum zu arbeiten heißt für uns auch, dass wir rund um die Vorstellungen viele Vermittlungsangebote anbieten. Dazu zählen beispielsweise Workshops zu KRUMP oder Einführungs- sowie Nachgespräche.

Das Stück „A HUMAN RACE“ thematisiert über den Tanz hinaus soziale Ungleichheit und Diskriminierung. Wie schafft es das Ensemble, die Botschaft ohne gesprochenen Text an ein Publikum ab 11 Jahren zu vermitteln?

Das passiert nur über die Musik und über den Tanz. Die Musik – „Le Sacre du Printemps“, also „Das Frühlingsopfer“ von Igor Strawinsky – ist für die Tanzgeschichte ein Meilenstein, der immer wieder aufgegriffen und neu interpretiert wird. Jetzt kombinieren wir dieses Stück von 1913 mit dem Tanzstil des KRUMP. Wir schicken das Publikum auf eine emotionale Reise.

Was sehen wir auf dieser Reise?

Es gibt einen Kreis aus Sand, der auf der Bühne sichtbar ist. Und es geht immer um die Fragen: Was passiert in diesem Kreis und was passiert außerhalb des Kreises? Dieser Kreis markiert die Grenze und die Auseinandersetzung zeigt: Es gibt Diskriminierung, es gibt Ausgrenzung, es gibt Ausschlussmechanismen und es gibt einen Kampf dagegen.

Nach welchen Kriterien wurden die Tänzer:innen ausgewählt?

Es gab ein Casting. Wir haben uns an die bundesweite, aber auch die internationale KRUMP-Szene gewendet. Der Choreograf Grichka Caruge, einer der bekanntesten KRUMPER in der weltweiten Szene, hatte auch einige Empfehlungen und Vorschläge. So haben wir uns ungefähr 15 Tänzer:innen angeguckt und am Ende hat er mit uns zusammen entschieden, wer Teil der Produktion wird.

In der Beschreibung zur „A HUMAN RACE“ schreibt ihr, dass es im Stück „um weit mehr als einen Kampf gegen äußere Umstände“ geht. „Es ist auch ein Ausdruck für innere Widersprüche, Abgründe [und] unaussprechliche Zustände.“ Wie schafft ihr es, diese inneren Widersprüche und unaussprechlichen Zustände nach außen zu tragen?

Man müsste das Stück sehen, dann wäre die Frage sofort beantwortet. Aber ich würde es mal so umschreiben: Das, was von innen nach außen kommt, das macht genau diese Expressivität aus. Von außen sieht es aus, als würde jemand platzen vor lauter Emotionen – eine hohe Intensität, die quasi herausgeschleudert wird.

Wie stellt ihr euch im Idealfall das Gefühl vor, mit dem das Publikum die Inszenierung verlässt?

Nach jeder Vorstellung gibt es ein Nachgespräch, sodass die entstandenen Gefühle unmittelbar mitgeteilt werden können. Das Publikum hat ganz unterschiedliche Assoziationen, die sie beschäftigen. Manche sind emotional sehr bewegt, haben sogar den Impuls, mitzutanzen. Manche sagen auch, sie konnten mit der Musik nicht so viel anfangen oder fühlten sich davon irgendwie auf Distanz gehalten. Es kommen also ganz unterschiedliche Rückmeldungen. Aber dass die Leute berührt sind, ist natürlich das, was sich jedes Theater wünscht.